Die freche Fee Stibitze und der Sturmstreichler

Stibitze-Sturm

Der Wind pfiff und peitschte den Regen gegen das Haus. Stibitze saß hinter dem großen Fenster im Wohnzimmer und versuchte, die Tropfen zu zählen. Seit Stunden.
Es gelang ihr einfach nicht, zu schnell und zu gewaltig trieb der Sturm sie an die Scheiben.
Seit Tagen war Stibitze ans Haus gefesselt, während der Sturm tobte, als wollte er nie wieder aufhören.
Bei diesem Wetter durften die Feen keinen Flügel vor die Tür setzen, das war zu gefährlich. Die Oberfee Lula Reif hatte zur Vorsicht aufgerufen und Häuslichkeit verordnet.
Allzu schnell fiel Stibitze die Decke auf den Kopf.

Häuslichkeit, papperlapapp.

Sie hatte aufgeräumt,
ausgiebig gebadet,
ihre Wäsche sortiert.
Sie hatte gemalt,
ein Lied einstudiert,
gebacken und gelesen.

Für ihr Haustier, der Spinne Oskar, hatte sie eine Rennbahn mit Hindernissen aufgebaut.
Mittlerweile hatte Oskar die Lust daran verloren, hing jetzt nur noch in seinem Netz herum und döste. Wann hörte es denn endlich auf mit der Stürmerei?

KAWUMMS machte es da auf einmal. Stibitze erschrak und drehte sich zum Kamin um, von dem das laute Geräusch gekommen war. Was sie durch die Rußwolke sehen konnte, ließ ihr das Herz in die Hose rutschen. Wer oder was war das, was durch ihren Kamin in ihr Wohnzimmer gekracht war? Fiberhaft überlegte sie, ob es so was wie ein Aschemonster gab? Wenn es eins gäbe, hätte sie es sich genauso vorgestellt. Lang und dürr, knochige, knorpelige Finger an den Händen, eine wirre Tolle auf dem schmalen kantigen Kopf, aus dem zusammengekniffene Augen sie düster anstarrten. Mächtige schwarze Flügel zuckten wild,
um die grauschwarze Asche abzuschütteln. Insgesamt einfach schrecklich.

‚Denk nach, Stibitze, denk nach.‘ Wo könnte sie sich verstecken? Hastig schaute sie sich um.

Sturmstreichler-Kamin

Als das Monster auf einmal so gar nicht monstermäßig nieste. Und noch einmal. „Entschuldigung.“ sagte es mit einem hohen feinen Stimmchen. „Ha! Ha! Hatschi! Die feine Asche kitzelt mich in der Nase. Könnte ich wohl bitte ein Taschentuch haben?“

Stibitze staunte nicht schlecht über so viel… Höflichkeit. „Ich helfe gerne, aber sie sind einfach so in mein Haus gefallen und ich kenne sie ja gar nicht. Meinen sie nicht, sie sollten sich zuallererst einmal vorstellen und das erklären?“

Das Wesen auf dem Boden ließ die knochigen Schultern noch tiefer hängen. „Verzeihung. Ich bin Luftikuss, ein Sturmstreichler. Wir Sturmstreichler stammen aus der Familie der Elementelfen. Der Sturm hat mich eben einfach durch diesen Kamin gefegt – er will sich nicht besänftigen lassen, weil er böse auf uns Sturmstreichler ist.“

Luftikuss sprach mit so viel Kummer in der Stimme, er tat Stibitze herzlich leid. Sie ging zum Kamin und setzte sich zu ihm. „Warum ist der Sturm denn böse?“ „Wir Sturmstreichler sind dafür da, einen Sturm, der tobt, zu beruhigen. Wir fliegen erst mit dem Sturm und später gegen ihn. So schlank gebaut, wie wir sind, bieten wir kaum Angriffsfläche für die Gegenwinde und können gut dagegenhalten. Unsere starken Flügel haben eine enorme Spannkraft und -weite. Sie tragen uns ganz leicht zum Zentrum des Sturms, wo wir ihn streicheln können, bis er sich beruhigt hat. Währenddessen singen wir für die Winde, damit sie auch zur Ruhe kommen.“

Wie um seine Worte zu unterstreichen, summte der Elf eine wunderschöne Melodie. Stibitze staunte über die Intensität, mit der dieses Männlein trotz allem Stress Ruhe und Wohlbefinden verbreitete.

Er fuhr fort: „Das machen wir schon immer so. Aber irgendwie wurden wir wohl zu nachlässig in den letzten Monaten. Ich fürchte auch zu faul. So richtig Mühe beim Sturmstreicheln hat sich keiner von uns mehr gegeben. Und wenn ein Sturm beim Toben nicht richtig beruhigt wird, dann leidet er und kann sich nicht legen.
Die Stürme haben uns angefleht, wieder besser mit ihnen umzugehen. Aber wir haben nur gelacht. ‚Lass sie doch.‘, haben wir uns gesagt. ‚Was soll schon passieren?‘“
Stibitze schüttelte tadelnd den Kopf.
„Vor 3 Tagen dann stellte sich dieser Sturm hier gegen uns. Mit aller Kraft hielt er uns von sich fern, ließ uns nicht an sich heran. Dann haben sich auch noch die Winde eingemischt und dem Sturm dabei geholfen, uns zu vertreiben. Eine Vertreibung ist so kräftezehrend, sie setzt einen Sturmstreichler tagelang außer Gefecht. Mittlerweile sind alle vertrieben, bis auf…“
„Dich“, beendet Stibitze Luftikuss Satz. „Ja, bis auf mich.“

Jetzt war Stibitze klar, warum der Sturm nicht aufhörte zu wüten. Gar nicht gut. Wenn sich der Sturm nicht versöhnlich zeigte, dann würde das nie ein Ende nehmen.
Luftikuss sah so zermürbt und unglücklich aus, er brauchte ihre Hilfe. Sie dachte nach.

„Luftikuss, ich wusste bis eben nichts von Sturmstreichlern und enttäuschten, trotzigen Stürmen. Aber ich weiß einiges über Verzeihen und Wiedergutmachen. Du musst dich bei dem Sturm entschuldigen, denn ihr habt keine Rücksicht auf das genommen, was er braucht. Und nun nimmt er keine Rücksicht mehr. Nur, das belastet uns alle. Und wenn du das nicht ausbügelst, dann bleibt am Ende niemand mehr übrig, der nicht böse auf euch Elfen wäre.“

Sturmstreichler

Der Sturmstreichler zuckte zusammen. „Verstehst Du, Luftikuss? Einen Fehler machen kann jeder. Diesen einzusehen und dafür geradezustehen, das ist es, was wichtig und richtig ist. Wenn eine Entschuldigung von Herzen kommt, dann wird sich eine Lösung auftun, da bin ich ganz sicher.“

„Meinst du wirklich? Er hört ja nicht einmal hin.“, wandte Luftikuss ein. „Ich habe mir schon den Mund fusselig geredet.“

„Na ja, ihr habt es ihm doch vorgemacht. Er stellt sich einfach taub und macht nur das, was er will.“ Luftikuss seufzt. „Aber wie kann ich dann zu ihm durchdringen?“ Die Fee und der Elf fingen das Grübeln an.

„Ich hab es“, rief Stibitze plötzlich. „Warum singst du ihm nicht ein Lied? Ein Lied für den Sturm, ehrlich gemeint, gesungen aus ganzem Herzen. Deine wunderbare Stimme, die dringt sicher zu ihm durch, da muss er einfach zuhören.“

Die Begeisterung der Fee über diesen Vorschlag übertrug sich auf Luftikuss, er war Feuer und Flamme. Die beiden setzten sich zusammen und schrieben ein Lied für den Sturm.

Spät in der Nacht verabschiedete sich der immer noch rußgeschwärzte Sturmstreichler von der kleinen Fee und flog dem Sturm entgegen. „Viel Glück“, rief Stibitze ihm nach und setzte sich in ihren Sessel, wo ihr die Augen sofort zufielen.

Sonne

Der nächste Morgen überraschte die Fee. Nämlich mit seiner friedlichen Stille. Keine Tropfen, die gegen das Haus hämmerten, keine Winde, die drumherum peitschten. Der Morgen erwachte sanft und leise und überließ der Sonne den Rest.

Stibitze lächelte. „Es hat funktioniert!“ dachte sie und freute sich. „Sehr gut gemacht, Luftikuss!“ Sie öffnete das Fenster und flog im Sonnenschein davon.

Dieses Lied sang Luftikuss dem Sturm
(zur Melodie von „Kommt ein Vogel geflogen“)

Ich entschuldige mich bei dir, es tut mir so leid.
Ich dachte nur an mich für eine wirklich lange Zeit.
So hab ich dich enttäuscht, ich war so unbedacht,
von jetzt an gebe ich wieder besser auf dich Acht.
Du bist der beste Sturm, den jemals ich sah
und versprochen, in der Zukunft bin ich ganz für dich da.
Verzeihen und vergessen, bitte sei mir wieder gut.
Lieber Sturm, ich drück dich mit all meinem Mut.“

 

Von Herzen, bleibt gesund! Lou Helfrich

Fußnote

Stibitzes wilde Locken sind bei nassem Wetter kaum noch zu bändigen. Sie kräuseln sich mehr und ärgern die kleine Fee damit, dass sie ihr ständig ins Gesicht fallen.

Meine liebe Freundin Dorle erklärt, warum sich Haare bei Feuchtigkeit (noch) mehr kräuseln bzw. krauser werden:

Stellt euch das Haar wie einen Tannenzapfen vor mit geöffneten Schuppen.
Durch die Öffnungen kann Feuchtigkeit in Form von Regentropfen oder Nebel ganz leicht eindringen.
Die Feuchtigkeit macht das Haar weicher und beweglicher. Wodurch es sich intensiver kräuseln kann.