Das Schneeflocken-Wettrennen

Schneeflocken Wettrennen
Schneeflocken Wettrennen Landschaft

„Au fein!“ jubelt Stibitze. Die Oberfee Lula Reif lässt die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass sich die ersten Schneeflocken des Winters heute um 11:26 fallen lassen werden. Stibitze ist gerade beim Frühstück. Schnell isst sie ihr Brot auf, erledigt die Morgenwäsche, schlüpft in ihr Winteroutfit und schon ist sie zur Tür raus.

Sie geht den Liturgius-Ast ein Stückchen hinauf. Als sie an ihrem Nachbarn Toni, einem Amselmännchen, vorbeikommt, grüßt sie freundlich. „Hallo Toni, heute kommt der erste Schnee.“ „Guten Morgen, Stibitze, gut, dass du mir das sagst. Da flieg ich schnell Kräuter sammeln für meinen Hals. Ich bin doch so empfindlich mit der Kälte!“ Wenn es um seine Stimme geht, ist mit Toni nicht zu spaßen. „Mach du das“, ruft Stibitze der Amsel zu, „wir sehen uns ja später noch. Ich hol Simsel ab zum Schneeflocken-Wettrennen.“

Wenig später klopft Stibitze aufgeregt an die Tür von Hausnummer 12. Simsel, eine ganz junge Fee, die erst seit kurzem hier wohnt, öffnet, noch im Nachthemd. Stibitze begrüßt sie stürmisch. „Hallo, du kleine Trödlerin. Schau doch mal, es ist schon blitzhell da draußen. Der Tag wartet nicht ewig. Also zieh dich an, wir haben was vor! Die Oberfee hat die ersten Schneeflocken angekündigt.“

„Ja, und?“ fragt Simsel überrumpelt.

„Die ersten Flocken des Winters lassen sich heute um 11:26 fallen.“

„Ja, und…?“

„Oh, Simsel! Du weißt aber auch gar nichts. Dann erklär ich dir das mal.“ Stibitze grinst breit. „Also mit den ersten Schneeflocken des Winters veranstalten wir Feen immer ein Wettrennen. Das macht richtig viel Spaß. Das geht nur mit den ersten Flocken, die sehr langsam fallen. Nachher, wenn sie sich eingestimmt haben, dann fallen sie zu tausenden und abertausenden und das sehr schnell. Da können wir nicht mehr mithalten.“

Simsel klatscht aufgeregt in die Hände, natürlich will sie mit. „Was soll ich machen?“

„Zieh dir erst mal etwas Ordentliches über. Die Schneeflocken lachen sich ja schlapp, wenn da eine Fee im Nachthemd antritt.“ Simsel zieht sich in Windeseile an. Mit zerzaustem Haar und glühenden Wangen steht sie erwartungsfroh vor Stibitze, die sie an die Hand nimmt und mit ihr losfliegt.

Simsel staunt über all die Feen, die sich ebenfalls auf den Weg gemacht haben. Farbenfroh bringen sie den Himmel zum Glitzern. Sie fliegen durch immer größer und dichter werdende Wolkengruppen.

Schließlich bremst Stibitze unter einer gewaltigen Wolkenschicht ab. Hier haben sich schon viele Feen niedergelassen, wie an buntem Funkeln und an unzähligen Flügelschlägen zu erkennen ist.

Das ist die Startposition und nun heißt es warten. Simsel wird die Zeit lang, ihr ist auch kalt. Schmollend legt sie den Kopf in ihre Hände und seufzt. Als plötzlich... Simsel blinzelt und sieht ganz genau hin. Im Inneren der Wolken rotiert es. Aber ja, es rotiert darin, langsam erst und dann immer schneller und schneller, bis sich kleine Spiralen bilden. Kleine tanzende Spiralen, die sich um sich selber und umeinander drehen. Simsel knufft Stibitze in die Seite und stammelt überwältigt „Stibitze, guck mal.“ „Ich sehe es auch, Simsel. Ist es nicht ganz wunderbar? Es geht gleich los.“

Die Feen schauen fasziniert zu und als dieses spektakuläre Treiben an Zauberhaftigkeit nicht mehr zu überbieten ist, spucken die Wolken die ersten Flocken aus. Die Flocken schütteln sich, als müssten sie sich orientieren, drehen sich einmal um die eigene Achse und lassen sich dann fallen.

Die Warterei hat endlich ein Ende! Das traditionelle Wettrennen mit den Schneeflocken geht los. Überall springen Feen aus den Wolken heraus. Kopf nach unten, Arme eng am Körper, angespannt bis in die Fußspitzen, pfeilgleich im Sturzflug den Flocken hinterher. Dabei hört man, wie sie sich anspornen und jubeln. Schneeflocken und Feen verwandeln den Himmel in eine funkelnde und glitzernde Rennstrecke. Simsel und Stibitze sind mittendrin. Dieses Tohuwabohu macht einen Riesenspaß. Der kalte Wind bläst um die Nasen und unter die Flügel, die Schneeflocken, die sie passieren, kitzeln. Es geht abwärts Richtung Erde, hui, was für ein großartiger Flug. Ringsherum ist alles vergessen, der Kopf ist frei, das Herz voller Freude. Die Flocken sind wunderschön und taumeln im Wind um die Feen herum.

Nach der Wolkenschicht, die der Erde am nächsten ist, klart es sich plötzlich auf. Von irgendwoher strahlt die Sonne, taucht alles in goldgelbes Licht und bringt die Schneeflocken zum Glitzern. So etwas Prächtiges hat Simsel noch nie zuvor gesehen. Einige Sekunden später plumpst sie mit dem Hinterteil auf die Erde, Stibitze plumpst neben sie und nacheinander kommen alle Feen an – purzeln umher, bleiben liegen, sitzen oder stehen. Die Flocken berühren sanft die noch warme Erde, die sie auftauen lässt. Schließlich versickern sie, zu Wasser geschmolzen, im Boden. Die Feen winken hinterher, so bedanken sie sich zum Abschied bei den Schneeflocken für ein großartiges Rennen.

Es hat längst aufgehört zu schneien, da toben und springen die Feen immer noch umher. Bis in den frühen Abend hinein bleiben sie zusammen draußen und feiern den Winter. Die Kälte macht ihnen dabei gar nichts aus.

Zauberhafte Wintergrüße an Euch Alle!